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Wilhelm Tell: Leseprobe

Erster Aufzug

Hier kannst Du Dir einen Eindruck von der Darstellung und Qualität der Übersetzung machen. 

 

 

Erste Szene

Das Original

klassikerverstehen

Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwyz gegenüber.

Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer
und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen.
Zur linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter
Szene noch eine Zeitlang fortsetzt.

Hohes Felsenufer des Vierwaldstättersees, Schwyz gegenüber.

Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit des Ufers, ein Fischerjunge fährt in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Bergwiesen, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken von Wolken umgeben. Zur Rechten, im fernen Hintergrund, sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Kuhglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeit lang fortsetzt.

FISCHERKNABE singt im Kahn
Melodie des Kuhreihens

Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
    Da hört er ein Klingen,
    Wie Flöten so süß,
    Wie Stimmen der Engel
    Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihm um die Brust,
    Und es ruft aus den Tiefen:
    Lieb Knabe, bist mein!
    Ich locke den Schläfer,
    Ich zieh ihn herein.

FISCHERJUNGE singt im Kahn
Melodie des Kuhreihens

Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
    Da hört er ein Klingen,
    Wie Flöten so süß,
    Wie Stimmen der Engel
    Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihm um die Brust,
    Und es ruft aus den Tiefen:
    Lieb Knabe, bist mein!
    Ich locke den Schläfer,
    Ich zieh ihn herein.

HIRTE auf dem Berge
Variation des Kuhreihens

    Ihr Matten lebt wohl,
    Ihr sonnigen Weiden!
    Der Senne muss scheiden,
    Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai.
    Ihr Matten lebt wohl,
    Ihr sonnigen Weiden!
    Der Senne muss scheiden,
    Der Sommer ist hin.

HIRTE auf dem Berg
Variation des Kuhreihens

    Ihr Matten lebt wohl,
    Ihr sonnigen Weiden!
    Der Senne muss scheiden,
    Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai.
    Ihr Matten lebt wohl,
    Ihr sonnigen Weiden!
    Der Senne muss scheiden,
    Der Sommer ist hin.

ALPENJÄGER erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen
Zweite Variation

Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
    Er schreitet verwegen
    Auf Feldern von Eis,
    Da pranget kein Frühling,
    Da grünet kein Reis;
Und unter den Füßen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
    Durch den Riss nur der Wolken
    Erblickt er die Welt,
    Tief unter den Wassern
    Das grünende Feld.

ALPENJÄGER erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsens 
Zweite Variation

Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
    Er schreitet verwegen
    Auf Feldern von Eis,
    Da pranget kein Frühling,
    Da grünet kein Reis;
Und unter den Füßen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
    Durch den Riss nur der Wolken
    Erblickt er die Welt,
    Tief unter den Wassern
    Das grünende Feld.

Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.

Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi, sein Handbube, folgt ihm.

Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.

Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melkeimer auf der Schulter. Seppi, sein Gehilfe, folgt ihm.

RUODI
Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein.
Der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mythenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläst es aus dem Wetterloch,
Der Sturm, ich mein, wird da sein, eh wir's denken.

RUODI
Beeile dich, Jenni. Zieh den Kahn an Land. Nebel zieht auf, auf dem Berg ertönt schon ein Donnern, der Mythenstein beginnt, im Nebel zu verschwinden und aus den Felsspalten bläst es kalt her. Ich glaube, der Sturm wird schneller da sein, als wir denken.

KUONI
's kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.

KUONI
Es kommt Regen auf, Fährmann. Meine Schafe fressen gierig Gras und Wächter scharrt in der Erde.

WERNI
Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.

WERNI
Die Fische springen und die Blässhühner tauchen unter. Ein Gewitter ist im Anzug.

KUONI zum Buben
Lug Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.

KUONI zum Gehilfen
Schau nach, Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen hat.

SEPPI
Die braune Lisel kenn ich am Geläut.

SEPPI
Die braune Lisel erkenne ich am Geläut.

KUONI
So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.

KUONI
Dann fehlt uns keine mehr, die läuft am weitesten weg.

RUODI
Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.

RUODI
Ihr habt ein schönes Geläut, Hirte.

WERNI
Und schmuckes Vieh – Ist's Euer eigenes, Landsmann?

WERNI
Und schönes Vieh. Ist es Euer eigenes, Landsmann?

KUONI
Bin nit so reich – 's ist meines gnäd'gen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.

KUONI
Ich bin nicht so reich – es ist das Vieh meines gnädigen Herrn, des Attinghausers – ich habe es nur in Pacht.

RUODI
Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!

RUODI
Wie schön der Kuh das Band um ihren Hals steht!

KUONI
Das weiß sie auch, dass sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihr's, sie hörte auf zu fressen.

KUONI
Das weiß sie auch, dass sie den Reihen anführt;  und nähme ich es ihr weg, würde sie aufhören zu fressen.

RUODI
Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft'ges Vieh –

RUODI
Das glaubt Ihr doch nicht im Ernst! Ein unvernünftiges Vieh –

WERNI
Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
'ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.

WERNI
Das sagt Ihr so leicht. Tiere haben auch Vernunft. Das wissen wir, die wir die Gämsen jagen: Wenn die zur Weide gehen, dann stellen sie klug eine Vorhut auf. Die spitzt die Ohren und warnt mit einem hellen Pfiff, wenn der Jäger naht.

RUODI zum Hirten
Treibt Ihr jetzt heim?

RUODI zum Hirten
Treibt Ihr jetzt heim?

KUONI
Die Alp ist abgeweidet.

KUONI
Die Alm ist abgeweidet.

WERNI
Glücksel'ge Heimkehr, Senn!

WERNI
Komm gut nach Hause, Senn!

KUONI
Die wünsch ich Euch,
Von Eurer Fahrt kehrt sich's nicht immer wieder.

KUONI
Das wünsche ich Euch; von Eurer Fahrt kommt man nicht immer zurück.

RUODI
Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.

RUODI
Dort kommt ein Mann eilig gelaufen.

WERNI
Ich kenn ihn, 's ist der Baumgart von Alzellen.

WERNI
Ich kenne ihn, es ist der Baumgart von Altzellen.

Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend.

Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend.

BAUMGARTEN
Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!

BAUMGARTEN
Um Gottes Willen, Fährmann, Euren Kahn!

RUODI
Nun, nun, was giebt's so eilig?

RUODI
Nun, nun, was gibt's so eilig?

BAUMGARTEN
Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!

BAUMGARTEN
Bindet los! Ihr rettet mir das Leben! Setzt mich über!

KUONI
Landsmann, was habt Ihr?

KUONI
Landsmann, was habt Ihr?

WERNI
Wer verfolgt Euch denn?

WERNI
Wer verfolgt Euch denn?

BAUMGARTEN zum Fischer
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.

BAUMGARTEN zum Fischer
Schnell, schnell, sie sind schon direkt hinter mir! Die Reiter des Landvogts kommen hinter mir, ich bin ein toter Mann, wenn sie mich kriegen.

RUODI.
Warum verfolgen Euch die Reisigen?

RUODI
Warum verfolgen Euch die Reisigen?

BAUMGARTEN
Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede.

BAUMGARTEN
Rettet mich zuerst, dann gebe ich Euch auf alles Antwort.

WERNI
Ihr seid mit Blut befleckt, was hat's gegeben?

WERNI
Ihr seid mit Blut befleckt, was ist passiert?

BAUMGARTEN
Des Kaisers Burgvogt, der auf Rossberg saß –

BAUMGARTEN
Der Burgvogt des Kaisers, der vom Rossberg –

KUONI
Der Wolfenschießen! Lässt Euch der verfolgen?

KUONI
Der Wolfenschießen! Lässt Euch der verfolgen?

BAUMGARTEN
Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.

BAUMGARTEN
Der
ist keine Gefahr mehr, ich hab' ihn erschlagen.

ALLE fahren zurück
Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?

ALLE fahren zurück
Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?

BAUMGARTEN
Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr und meines Weibes.

BAUMGARTEN
Was jeder freie Mann an meiner Stelle getan hätte! Mein gutes Hausrecht hab' ich ausgeübt, am Schänder meiner Ehre und meiner Frau.

KUONI
Hat Euch der Burgvogt an der Ehr geschädigt?

KUONI
Hat der Burgvogt Eure Ehre verletzt?

BAUMGARTEN
Dass er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.

BAUMGARTEN
Dass er sein böses Verlangen in die Tat umsetzen würde, haben Gott und meine gute Axt verhindert.

WERNI
Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?

WERNI
Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf gespalten?

KUONI
O lasst uns alles hören. Ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden.

KUONI
Oh, lasst uns alles hören. Ihr habt Zeit, bis er den Kahn vom Ufer losgebunden hat.

BAUMGARTEN
Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
»Der Burgvogt lieg' in meinem Haus, er hab'
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab' er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sei entsprungen, mich zu suchen.«
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab ich ihm 's Bad gesegnet.

BAUMGARTEN
Ich hatte im Wald Holz gefällt, da kommt meine Frau in Todesangst dahergelaufen: Der Burgvogt liege in meinem Haus; er habe ihr befohlen, ihm ein Bad einzulassen. Daraufhin habe er Ungebührliches von ihr verlangt; sie sei fortgerannt, mich zu suchen. 
Ich lief sofort los, so wie ich war, und mit der Axt hab' ich ihm das Bad gesegnet.

WERNI
Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.

WERNI
Das habt Ihr richtig gemacht, kein Mensch kann Euch etwas vorwerfen.

KUONI
Der Wüterich! Der hat nun seinen Lohn!
Hat's lang verdient ums Volk von Unterwalden.

KUONI
Der Tyrann! Der hat jetzt seinen Lohn! Für seine Vergehen an den Menschen von Unterwalden hat er das schon lange verdient.

BAUMGARTEN
Die Tat ward ruchtbar, mir wird nachgesetzt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –

BAUMGARTEN
Die Tat wurde bekannt, mir wird nachgesetzt – während wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –

Es fängt an zu donnern.

Es fängt an zu donnern.

KUONI
Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.

KUONI
Auf, Fährmann – Schaff den guten Mann hinüber.

RUODI
Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müsst warten.

RUODI
Geht nicht. Ein schweres Unwetter ist im Anzug. Ihr müsst warten.

BAUMGARTEN
Heil'ger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet –

BAUMGARTEN
Großer Gott! Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet –

KUONI zum Fischer
Greif an mit Gott, dem Nächsten muss man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.

KUONI zum Fischer
Pack es an mit Gott, seinem Nächsten muss man helfen, schließlich kann jedem von uns das Gleiche passieren.

Brausen und Donnern.

Brausen und Donnern.

RUODI
Der Föhn ist los, Ihr seht wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen

RUODI
Der Föhn ist los, Ihr seht, wie hoch der See geht; ich kann gegen Sturm und Wellen nicht steuern.

BAUMGARTEN umfasst seine Knie
So helf Euch Gott, wie Ihr Euch mein erbarmet –

BAUMGARTEN umfasst seine Knie
Dann helfe Euch Gott, so wie Ihr Euch meiner erbarmt –

WERNI
Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.

WERNI
Es geht um Leben und Tod, hab Mitleid, Fährmann.

KUONI
s'ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!

KUONI
Er verantwortet einen Haushalt, hat Frau und Kinder!

Wiederholte Donnerschläge.

Wiederholte Donnerschläge.

RUODI
Was? Ich hab auch ein Leben zu verlieren,
Hab Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin
Wie's brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
– Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, Ihr seht selbst.

RUODI
Was? Ich hab' auch ein Leben zu verlieren, habe Frau und Kinder daheim, wie er – Seht hin, wie es brandet, wie es wogt und Wirbel zieht und das Wasser in der Tiefe aufrührt. Ich würde den guten Herrn gerne retten, aber es ist schlicht unmöglich, Ihr seht selbst.

BAUMGARTEN noch auf den Knien
So muss ich fallen in des Feindes Hand,
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
– Dort liegt's! Ich kann's erreichen mit den Augen
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muss hier liegen, hülflos, und verzagen!

BAUMGARTEN noch auf den Knien
Dann muss ich dem Feind in die Hände fallen, das rettende Ufer direkt in Sichtweite! – Dort liegt's! Ich kann es sehen, kann hinüberrufen; da ist der Kahn, der mich hinübertragen würde: und ich muss hier liegen, hilflos, und verzweifeln!

KUONI
Seht wer da kommt!

KUONI
Seht, wer da kommt!

WERNI
Es ist der Tell aus Bürglen.

WERNI:
Es ist der Tell aus Bürglen.

Tell mit der Armbrust.

Tell mit der Armbrust.

TELL
Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?

TELL
Wer ist der Mann, der hier um Hilfe fleht?

KUONI
's ist ein Alzeller Mann, er hat sein Ehr
Verteidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Rossberg saß –
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,
Er fleht den Schiffer um die Überfahrt,
Der fürcht't sich vor dem Sturm und will nicht fahren.

KUONI
Er ist von Altzellen; er hat seine Ehre verteidigt und den Wolfenschießen erschlagen, den Burgvogt des Königs, der auf dem Rossberg seinen Sitz hatte – Die Reiter des Landvogts sind ihm auf den Fersen. Er fleht den Schiffer um die Überfahrt an; der fürchtet sich vor dem Sturm und will nicht fahren.

RUODI
Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,
Der soll mir's zeugen, ob die Fahrt zu wagen.

RUODI
Da ist der Tell, der versteht auch was vom Kahnfahren, der soll mein Zeuge sein, ob die Fahrt zu wagen ist.

TELL
Wo's Not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.

TELL
Wo es wichtig ist, Fährmann, lässt sich alles wagen.

Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf.

Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf.

RUODI
Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das täte keiner, der bei Sinnen ist.

RUODI
Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen? Das täte keiner, der bei Sinnen ist.

TELL
Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,
Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.

TELL
Der tapfere Mann denkt an sich selbst zuletzt. Vertrau auf Gott und rette den Mann in Not.

RUODI
Vom sichern Port lässt sich's gemächlich raten,
Da ist der Kahn und dort der See! Versucht's!

RUODI
Wer sich in Sicherheit wiegt, der kann leicht Ratschläge erteilen! 
Da ist der Kahn und dort der See! Versucht's!

TELL
Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es Fährmann!

TELL
Der See kann sich erbarmen, der Landvogt nicht – versuch es, Fährmann!

HIRTEN und JÄGER
Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!

HIRTEN und JÄGER
Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!

RUODI
Und wär's mein Bruder und mein leiblich Kind,
Es kann nicht sein, s'ist heut Simons und Judä,
Da rast der See und will sein Opfer haben.

RUODI
Selbst wenn es mein Bruder und mein leibliches Kind wären, würde es nicht gehen: Heute ist Tag der Apostel Simon und Judas; da rast der See und will sein Opfer haben.

TELL
Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muss Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?

TELL
Mit leeren Worten wird hier nichts geschafft; die Zeit drängt, dem Mann muss geholfen werden. Sprich, Fährmann, wirst du fahren?

RUODI
Nein, nicht ich!

RUODI
Nein, nicht ich!

TELL
In Gottes Namen denn! Gieb her den Kahn,
Ich will's mit meiner schwachen Kraft versuchen.

TELL
Also dann, in Gottes Namen! Gib den Kahn her, ich will es versuchen, so gut ich kann.

KUONI
Ha, wackrer Tell!

KUONI
Ha, wackerer Tell!

WERNI
Das gleicht dem Waidgesellen!

WERNI
Das sieht dem Jäger ähnlich!

BAUMGARTEN
Mein Retter seid Ihr und mein Engel, Tell!

BAUMGARTEN
Mein Retter seid Ihr, und mein Engel, Tell!

TELL
Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch,
Aus Sturmes Nöten muss ein Andrer helfen.
Doch besser ist's, Ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen! 
Zu dem Hirten Landsmann, tröstet Ihr
Mein Weib, wenn mir was menschliches begegnet,
Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte.

TELL
Ich rette Euch zwar aus der Gewalt des Vogtes, aber aus der Gefahr durch den Sturm muss ein anderer helfen. Doch besser, Ihr fallt Gott in die Hände, als den Menschen!

Zu dem Hirten:
Landsmann, bitte tröstet meine Frau, falls ich es nicht schaffe. Ich habe getan, was ich tun musste.

 

Er springt in den Kahn.

Er springt in den Kahn.

KUONI zum Fischer
Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?

KUONI zum Fischer
Ihr seid mir ja ein Steuermann. Was sich der Tell traut, das konntet Ihr nicht wagen?

RUODI
Wohl bessre Männer tun's dem Tell nicht nach,
Es giebt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge.

RUODI
Noch bessere Männer tun es dem Tell nicht gleich; es gibt im Gebirge keinen zweiten von seiner Sorte.

WERNI ist auf den Fels gestiegen
Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer!
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!

WERNI ist auf den Fels gestiegen
Er stößt schon ab. Gott helfe dir, tapferer Schiffer! Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt.

KUONI am Ufer
Die Flut geht drüber weg – Ich seh's nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.

KUONI am Ufer
Die Flut geht drüber weg – ich seh's nicht mehr. Doch halt, da ist es wieder! Mit vollem Einsatz kämpft sich der mutige Mann durch die Brandung.

SEPPI
Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.

SEPPI
Die Reiter des Landvogts kommen angesprengt.

KUONI
Weiß Gott, sie sind's! das war Hülf in der Not.

KUONI
Weiß Gott, sie sind's! Das war Rettung in letzter Sekunde.

Ein Trupp Landenbergischer Reiter

Ein Trupp Landenbergischer Reiter

ERSTER REITER
Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.

ERSTER REITER
Gebt den Mörder heraus, den ihr verborgen haltet.

ZWEITER REITER
Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.

ZWEITER REITER
Hier entlang kam er, ihr versteckt ihn umsonst.

KUONI und RUODI
Wen meint ihr, Reiter?

KUONI und RUODI
Wen meint ihr, Reiter?

ERSTER REITER entdeckt den Nachen
Ha, was seh ich! Teufel!

ERSTER REITER entdeckt den Kahn
Ha, was sehe ich! Teufel!

WERNI oben
Ist's der im Nachen, den ihr sucht? – Reit' zu!
Wenn ihr frisch beilegt, holt ihr ihn noch ein.

WERNI oben
Ist es der im Kahn, den ihr sucht? Reitet zu! Wenn ihr eifrig beilegt, holt ihr ihn noch ein.

ZWEITER REITER
Verwünscht! Er ist entwischt.

ZWEITER REITER
Verflucht! Er ist entwischt.

ERSTER REITER zum Hirten und Fischer
Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Herde!
Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder!

ERSTER REITER zum Hirten und Fischer
Ihr habt ihm fortgeholfen, das sollt ihr büßen – Fallt in ihre Herde! Reißt die Hütte ein, verbrennt und zerstört alles!

Eilen fort.

Eilen fort.

SEPPI stürzt nach
O meine Lämmer!

SEPPI stürzt nach
Oh, meine Lämmer!

KUONI folgt
Weh mir! Meine Herde!

KUONI folgt 
Ich bin verloren! Meine Herde!

RUODI ringt die Hände
Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande? Folgt ihnen.

RUODI ringt die Hände
Gerechtigkeit des Himmels, wann kommt der Retter für dieses Land? 

Folgt ihnen.

Zweite Szene

Das Original

klassikerverstehen

Zu Steinen in Schwyz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke.

Werner Stauffacher, Pfeiffer von Luzern 
kommen im Gespräch.

Steinen in Schwyz. Eine Linde vor Stauffachers Haus an der Landstraße neben der Brücke.

Werner Stauffacher und Pfeifer von Luzern kommen
im Gespräch.

PFEIFFER.
Ja, ja Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte.
Schwört nicht zu Östreich, wenn Ihr's könnt vermeiden.
Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,
Gott schirme Euch bei Eurer alten Freiheit!

PFEIFER
Ja, ja, Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte. Schwört nicht zu Österreich, wenn Ihr es vermeiden könnt. Haltet am Reich fest, so wacker wie bisher; Gott beschütze Euch bei Eurer alten Freiheit!

(Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen.)

Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen.

STAUFFACHER.
Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt – Ihr seid
Mein Gast zu Schwyz, ich in Luzern der Eure.

STAUFFACHER
Bleibt doch noch, bis meine Frau kommt – Ihr seid mein Gast in Schwyz, und ich bin Eurer in Luzern.

PFEIFFER.
Viel Dank! Muss heute Gersau noch erreichen.
– Was ihr auch schweres mögt zu leiden haben
Von eurer Vögte Geiz und Übermut,
Tragt's in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,
Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.
Seid ihr erst Österreichs, seid ihr's auf immer.

PFEIFER
Vielen Dank! Ich muss heute noch Gersau erreichen. Was ihr auch Schweres von der Habgier und des Übermuts eurer Vögte erleiden müsst: Ertragt es mit Geduld! Es kann sich ändern, schnell; ein anderer Kaiser kann im Reich an die Macht kommen. Wenn ihr erst zu Österreich gehört, dann tut ihr es für immer.

Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt, und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.

Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt und ihn eine Zeit lang schweigend betrachtet.

GERTRUD
So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.
Schon viele Tage seh ich's schweigend an,
Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.
Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,
Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,
Und meine Hälfte fordr ich deines Grams.

(Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.)

Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.
Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,
Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,
Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht
Ist von den Bergen glücklich heimgebracht
Zur Winterung in den bequemen Ställen.
– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz,
von schönem Stammholz ist es neu gezimmert
Und nach dem Richtmaß ordentlich gefügt
Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,
Mit bunten Wappenschildern ist's bemalt,
Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann
Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.

GERTRUD
So ernst, Liebling? Ich erkenne dich gar nicht wieder. 
Schon seit langem sehe ich mir die Kummerfalten auf deiner Stirn an und sage nichts. Dich bedrückt etwas im Stillen. Vertrau es mir an; ich bin deine Frau; ich stehe dir zur Seite und will deinen Kummer mit dir teilen.

Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.

Was kann dich so bedrücken? Sag es mir. Dein Fleiß hat sich ausgezahlt, dir geht es sehr gut, die Scheunen sind voll und die Rinderherde ist groß, die gesunden und gestriegelten Pferde wurden zur Überwinterung sicher von den Bergen in die bequemen Ställe gebracht. Da steht dein Haus, stattlich, wie ein Edelsitz, neu gezimmert aus schönem Stammholz, aufrecht und gerade gebaut, die vielen Fenster machen es wohnlich und hell, mit bunten Wappenschildern ist es bemalt und mit Weisheiten, bei denen die Wanderer innehalten und ihren Sinn bewundern.

STAUFFACHER.
Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,
Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.

STAUFFACHER
Das Haus steht zwar stabil gebaut da, doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.

GERTRUD.
Mein Werner sage, wie verstehst du das?

GERTRUD
Sag mir, Werner, wie meinst du das?

STAUFFACHER.
Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,
Das schön vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig
Wie sich's gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im Lande. »Wessen ist dies Haus?«
Fragt' er bösmeinend, denn er wusst es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn' ihm so:
„Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,
Und Eures und mein Lehen“ – da versetzt er:
»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,
Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frei
Hinleb ', als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich werd mich unterstehn, euch das zu wehren.«
Dies sagend ritt er trutziglich von dannen,
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.

STAUFFACHER
Neulich saß ich vor dieser Linde so wie heute, und dachte glücklich darüber nach, was wir alles Schönes erreicht haben. Da kam der Vogt mit seinen Reisigen geritten, von Küssnacht, seiner Burg. Vor diesem Haus hielt er erstaunt an, doch ich stand schnell auf und unterwürfig, wie es sich gehört, trat ich dem Herrn entgegen, der im Land die richterliche Macht des Kaisers vertritt. „Wessen Haus ist das?“ fragte er falsch, denn er wusste es sehr wohl. Nach schnellem Überlegen antworte ich: „Dieses Haus, Herr Vogt, gehört meinem Herrn, dem Kaiser, und ist mein und Euer Lehen.“ Da versetzt er: „Ich bin Regent im Land an des Kaisers statt und will nicht, dass der Bauer selbstbestimmt Häuser baut und so frei vor sich hin lebt, als wäre er der Herr im Land. Ich werde alles daransetzen, Euch das zu verwehren.“ Und indem er das sagte, ritt er grimmig fort; ich dagegen stand bedrückt da und dachte daran, was der böse Mann gesagt hatte.

GERTRUD.
Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du
Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?
Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,
Des viel erfahrnen Manns. Wir Schwestern saßen,
Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,
Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter
Versammelten, die Pergamente lasen
Der alten Kaiser, und des Landes Wohl
Bedachten in vernünftigem Gespräch.
Aufmerkend hört ich da manch kluges Wort,
Was der Verständ'ge denkt, der Gute wünscht,
Und still im Herzen hab ich mir's bewahrt.
So höre denn und acht auf meine Rede,
Denn was dich presste, sieh das wusst ich längst.
– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,
Denn du bist ihm ein Hindernis, dass sich
Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus
Will unterwerfen, sondern treu und fest
Beim Reich beharren, wie die würdigen
Altvordern es gehalten und getan. –
Ist's nicht so Werner? Sag es, wenn ich lüge!

GERTRUD
Mein lieber Werner! Willst du die ehrliche Meinung deiner Frau hören? 
Ich kann mich der Tatsache rühmen, die Tochter des edlen Iberg zu sein, der viel Erfahrung hat. In den langen Nächten, in denen sich bei meinem Vater die großen Männer des Volkes versammelten, die Pergamente der alten Kaiser lasen und über das Wohl des Landes nachdachten, saßen wir Schwestern beim Spinnen beisammen und führten vernüntige Gespräche. Ich merkte auf, wenn ich sie immer wieder etwas Kluges sagten hörte, etwas, das Gebildete denken und gute Menschen sich wünschen und merkte es mir. Also hör mir gut zu, denn was dich gequält hat, weißt du, das wusste ich längst. Dir grollt der Landvogt und möchte dir gerne schaden, denn du trägst dazu bei, dass sich die Schwyzer dem neuen Fürstenhaus nicht unterwerfen wollen, sondern stattdessen treu und fest am Reich hängen, so wie es unsere würdigen Vorfahren gehalten und getan haben. Ist es nicht so, Werner? Sag es, wenn ich lüge!

STAUFFACHER.
So ist's, das ist des Gesslers Groll auf mich.

STAUFFACHER
So ist es; darin liegt der Groll, den Gessler gegen mich hegt.

GERTRUD.
Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,
Ein freier Mann auf deinem eignen Erb'
– Denn Er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich
Trägst du dies Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,
So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,
Denn über dir erkennst du keinen Herrn
Als nur den Höchsten in der Christenheit –
Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,
Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,
Drum sieht er jedes Biedermannes Glück
Mit scheelen Augen gift'ger Missgunst an,
Dir hat er längst den Untergang geschworen –
Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,
Bis er die böse Lust an dir gebüßt?
Der kluge Mann baut vor.

GERTRUD
Er beneidet dich, weil du glücklich als ein freier Mann auf deinem eigenen Erbe wohnst – denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und vom Reich besitzt du dieses Haus als Lehen; du darfst es zeigen, genau wie der Reichsfürst seine Länder zeigt. Denn über dir erkennst du keinen anderen Herrn an als nur den Höchsten in der Christenheit – Er ist nur ein jüngerer Sohn in seinem Haus, er nennt nichts anderes sein Eigen, als seinen Rittermantel. Darum missgönnt er jedem guten Mann sein Glück. Dir hat er längst den Untergang geschworen. Noch bist du unversehrt – Willst du warten, bis er seine böse Lust an dir befriedigt hat? Der kluge Mann beugt vor.

STAUFFACHER.
Was ist zu tun?

STAUFFACHER
Was ist zu tun?

GERTRUD (tritt näher).
So höre meinen Rat! Du weißt, wie hier
Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.
So zweifle nicht, dass sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs –
Denn wie der Gessler hier, so schafft es frech
Der Landenberger drüben überm See –
Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,
Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-
Beginnen von den Vögten uns verkündet.
Drum tät es gut, dass eurer etliche,
Die's redlich meinen, still zu Rate giengen,
Wie man des Drucks sich möcht erledigen.
So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen,
Und der gerechten Sache gnädig sein –
Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,
Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?

GERTRUD tritt näher
Das wäre mein Ratschlag: Du weißt, wie sich hier in Schwyz alle anständigen Leute über die Habgier und die Tyrannei dieses Landvogts beklagen. Hab also keinen Zweifel daran, dass sie auch drüben in Unterwalden und im Urnerland die Bedrängnis und das harte Joch satthaben – Denn so wie hier der Gessler, so treibt es frech der Landenberger auf der anderen Seite des Sees – Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber, durch das wir nicht von einem neuen Unglück oder einem neuen Gewaltakt der Vögte erfahren. Darum wäre es sinnvoll, wenn einige rechtschaffene Leute unter euch im Geheimen beraten würden, wie man sich von diesem Druck befreien könnte. Ich glaube, Gott würde euch nicht verlassen und der gerechten Sache gnädig sein. Sag, hast du in Uri keinen Freund, dem du alles anvertrauen könntest?

STAUFFACHER.
Der wackern Männer kenn ich viele dort,
Und angesehen große Herrenleute,
Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.

(Er steht auf.)

Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken
Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes
Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,
Und was ich mir zu denken still verbot,
Du sprichst's mit leichter Zunge kecklich aus.
– Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?
Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen
Rufst du in dieses friedgewohnte Tal –
Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,
In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?
Der gute Schein nur ist's, worauf sie warten,
Um loszulassen auf dies arme Land
Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,
Darin zu schalten mit des Siegers Rechten,
Und unterm Schein gerechter Züchtigung
Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.

STAUFFACHER
Wackere Männer kenne ich viele dort, und sehr angesehene Herrenleute, mit denen ich eng vertraut bin.

Er steht auf.

Gertrud, was für einen Sturm von gefährlichen Gedanken weckst du in mir auf! Du holst mein Innerstes ans Tageslicht und hältst es mir vor, und was ich mir verboten hatte, zu denken, das sprichst du einfach locker und unverblümt aus. Hast du auch gut über das nachgedacht, was du mir rätst? Wilden Streit und Krieg rufst du in dieses friedliche Tal. Wir, ein schwaches Volk von Hirten, würden es wagen, den Herrscher der Welt zu bekriegen? Sie warten nur auf ein Anzeichen davon, um die wilden Horden ihrer Kriegsmacht auf dieses arme Land loszulassen, mit dem Recht des Siegers darin zu schalten und unter dem Schein gerechter Bestrafung die alten Freiheitsbriefe zu vernichten.



 

GERTRUD.
Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt
zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!

GERTRUD
Ihr seid auch Männer, wisst eure Axt zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!

STAUFFACHER.
O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist
Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten.

STAUFFACHER
Oh! Der Krieg ist ein furchtbares Grauen, das sowohl die Herde als auch den Hirten tötet.

GERTRUD.
Ertragen muss man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.

GERTRUD
Was der Himmel sendet, muss man ertragen, aber Ungerechtigkeit erträgt kein edles Herz.

STAUFFACHER.
Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.
Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.

STAUFFACHER
Dieses Haus, das wir neu gebaut haben, macht dich glücklich. Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.

GERTRUD.
Wüsst ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.

GERTRUD
Wenn ich nur an Zeitlichem interessiert wäre, dann würde ich es höchstpersönlich anzünden.

STAUFFACHER.
Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.

STAUFFACHER
Du glaubst an Menschlichkeit! Der Krieg verschont auch nicht das zarte Kind in der Wiege.

GERTRUD.
Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.

GERTRUD
Die Unschuld hat den Himmel zum Freund! Sieh nach vorne, Werner, und nicht nach hinten.

STAUFFACHER.
Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das Eure sein?

STAUFFACHER
Wir Männer können tapfer im Gefecht sterben, aber was wird euer Schicksal sein?

GERTRUD.
Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.

GERTRUD
Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen, ein Sprung von dieser Brücke befreit mich.

STAUFFACHER (stürzt in ihre Arme).
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,
Der kann für Herd' und Hof mit Freuden fechten,
Und keines Königs Heermacht fürchtet er –
Nach Uri fahr ich stehnden Fußes gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich.
Auch find ich dort den edlen Bannerherrn
Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm
Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.
Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man
Der Landesfeinde mutig sich erwehrt –
Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du
Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –
Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,
Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,
Gieb reichlich und entlass ihn wohl gepflegt.
Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äuserst
Am offnen Heerweg steht's, ein wirtlich Dach
Für alle Wandrer, die des Weges fahren.

STAUFFACHER stürzt in ihre Arme
Wer so ein Herz an seine Brust drückt, kann mit Freude für seine Herde und seinen Hof kämpfen und fürchtet von keinem König das Heer – Ich fahre sofort nach Uri, dort wohnt ein Freund von mir, Walther Fürst, der über diese Zeiten genauso denkt, wie ich. Dort finde ich auch den edlen Bannerherrn von Attinghausen – obwohl er von hoher Geburt ist, liebt er das Volk und schätzt die alten Sitten. Mit ihnen beiden werde ich beraten, wie man sich mutig gegen die Landesfeinde wehrt. Pass auf dich auf – und während ich fort bin, verwalte du gut das Haus. Gib den Wallfahrern, die zum Gotteshaus pilgern, und den frommen Mönchen, die für ihre Klöster sammeln, hohe Spenden und sorge dafür, dass sie gut versorgt sind, wenn sie gehen. Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Es steht ganz am Rand vom offenen Heerweg und nimmt alle Wanderer, die daran vorbeikommen, freundlich auf.

Indem sie nach dem Hintergrund abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Szene.

Indem sie nach dem Hintergrund abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorne auf die Szene.

TELL (zu Baumgarten).
Ihr habt jetzt Meiner weiter nicht vonnöten,
Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt
Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.
– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!

TELL zu Baumgarten
Ihr braucht mich jetzt nicht mehr; geht zu jenem Haus, dort wohnt der Stauffacher, er unterstützt Leute in Not. Doch seht, da ist er selber. Folgt mir, kommt!

(Gehen auf ihn zu, die Szene verwandelt sich.) Gehen auf ihn zu, die Szene verwandelt sich.

Dritte Szene

Das Original

klassikerverstehen

Öffentlicher Platz bei Altdorf. Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eine Veste bauen, welche schon so weit gediehen, dass sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und nieder steigen, auf dem höchsten Dach hängt der Schieferdecker – Alles ist in Bewegung und in Arbeit.

Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.

Öffentlicher Platz bei Altdorf. Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man wie eine Festung gebaut wird, die schon so weit gediehen ist, dass sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vorderen wird gerade gebaut. Das Gerüst steht noch, an dem die Arbeiter auf- und niedersteigen. Auf dem höchsten Dach hängt der Dachdecker – alles ist in Bewegung und in Arbeit.

Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.

FRONVOGT (mit dem Stabe, treibt die Arbeiter).
Nicht lang gefeiert, frisch! Die Mauersteine
Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!
Wenn der Herr Landvogt kommt, dass er das Werk
Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.
(Zu zwei Handlangern, welche tragen.)
Heißt das geladen? Gleich das Doppelte!
Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!

FRONVOGT mit dem Stab, treibt die Arbeiter
Nicht so langsam, jetzt aber ran hier! Die Mauersteine her, den Kalk, den Mörtel herfahren! Damit der Landvogt einen Fortschritt sieht, wenn er kommt – hier kriecht alles nur so vor sich hin.

Zu zwei Handlangern, die tragen

Das soll beladen heißen? Gleich das Doppelte! Wie die Faulenzer sich vor ihrer Pflicht drücken!

ERSTER GESELL.
Das ist doch hart, dass wir die Steine selbst
Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!

ERSTER GESELLE
Das ist doch hart, dass wir selbst die Steine zu unserem Zwinger und Kerker fahren sollen!

FRONVOGT.
Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,
Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,
Und faul herum zu schlendern auf den Bergen.

FRONVOGT
Was meckert ihr? Das ist ein primitives Volk, das nichts anderes kann, als das Vieh zu melken und faul auf den Bergen herumzuschlendern.

ALTER MANN (ruht aus).
Ich kann nicht mehr.

ALTER MANN ruht aus
Ich kann nicht mehr.

FRONVOGT (schüttelt ihn).
Frisch Alter an die Arbeit!

FRONVOGT schüttelt ihn
Wieder zurück an die Arbeit, alter Mann!

ERSTER GESELL.
Habt Ihr denn gar kein Eingeweid', dass Ihr
Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,
Zum harten Frondienst treibt?

ERSTER GESELLE
Habt Ihr denn gar kein Herz, dass Ihr den alten Mann, der kaum sich selbst schleppen kann, zum harten Frondienst treibt?

MEISTER STEINMETZ und GESELLEN.
's ist himmelschreiend!

MEISTER STEINMETZ und GESELLEN
Es ist so grausam!

FRONVOGT.
Sorgt ihr für euch, ich tu was meines Amts.

FRONVOGT
Kümmert euch selbst um euch, ich führe nur meine Pflicht aus.

ZWEITER GESELL.
Fronvogt, wie wird die Veste denn sich nennen,
Die wir da baun?

ZWEITER GESELLE
Fronvogt, wie wird die Festung denn heißen, die wir da bauen?

FRONVOGT.
Zwing Uri soll sie heißen,
Denn unter dieses Joch wird man euch beugen.

FRONVOGT
Zwinger Uri
soll sie heißen, denn unter dieses Joch wird man euch spannen.

GESELLEN.
Zwing Uri!

GESELLEN
Zwinger Uri!

FRONVOGT.
Nun was giebt's dabei zu lachen?

FRONVOGT
Was gibt es da zu lachen?

ZWEITER GESELL.
Mit diesem Häuslein wollt ihr Uri zwingen?

ZWEITER GESELLE
Mit diesem Häuschen wollt ihr Uri bezwingen?

ERSTER GESELL.
Lass sehn, wieviel man solcher Maulwurfshaufen
Muss über 'nander setzen, bis ein Berg
Draus wird, wie der geringste nur in Uri!

ERSTER GESELLE
Wollen wir mal schauen, wie viele solcher Maulwurfshügel man aufeinandersetzen muss, bis ein Berg daraus wird, der gerade mal so groß ist wie der kleinste in Uri!

(Fronvogt geht nach dem Hintergrund.)

Fronvogt geht nach dem Hintergrund.

MEISTER STEINMETZ.
Den Hammer werf ich in den tiefsten See,
Der mir gedient bei diesem Fluchgebäude!

MEISTER STEINMETZ
Den Hammer, den ich für dieses verfluchte Gebäude benutzt habe, werde ich in den tiefsten See werfen!

Tell und Stauffacher kommen.

Tell und Stauffacher kommen.

STAUFFACHER.
O hätt ich nie gelebt, um das zu schauen!

STAUFFACHER
Ach, dass ich das miterleben muss!

TELL.
Hier ist nicht gut sein. Lass uns weitergehn.

TELL
Hier halten wir uns besser nicht auf. Lass uns weitergehen.

STAUFFACHER.
Bin ich zu Uri in der Freiheit Land?

STAUFFACHER
Bin ich in Uri, dem Land der Freiheit?

MEISTER STEINMETZ.
O Herr, wenn Ihr die Keller erst gesehn
Unter den Türmen! Ja wer die bewohnt,
Der wird den Hahn nicht fürder krähen hören!

MEISTER STEINMETZ
Oh Herr, wenn Ihr die Keller unter den Türmen erst gesehen habt! Ja, wer die bewohnt, wird den Hahn so schnell nicht mehr krähen hören.

STAUFFACHER.
O Gott!

STAUFFACHER
Oh Gott!

STEINMETZ.
Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,
Die stehn, wie für die Ewigkeit gebaut!

STEINMETZ
Schaut euch diese Flanken, diese Strebepfeiler an; die stehen wie für die Ewigkeit gebaut!

TELL.
Was Hände bauten, können Hände stürzen.
(Nach den Bergen zeigend.)
Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet.

TELL
Was Hände gebaut haben, können Hände zerstören.

Zeigt in Richtung der Berge.

Das Haus der Freiheit hat Gott uns geschaffen.

(Man hört eine Trommel, es kommen Leute, die einen Hut auf der Stange tragen, ein Ausrufer folgt ihnen, Weiber und Kinder dringen tumultuarisch nach.)

Man hört eine Trommel, es kommen Leute, die einen Hut auf der Stange tragen, ein Ausrufer folgt ihnen. Frauen und Kinder drängen tumultartig hinterher.

ERSTER GESELL.
Was will die Trommel? Gebet acht!

ERSTER GESELLE
Was will die Trommel? Gebt Acht!

MEISTER STEINMETZ.
Was für ein Faßnachtsaufzug und was soll der Hut?

MEISTER STEINMETZ
Was für ein Fastnachtsumzug; und was soll der Hut?

AUSRUFER.
In des Kaisers Namen! Höret!

AUSRUFER
Im Namen des Kaisers! Hört!

GESELLEN.
Still doch! Höret!

GESELLEN
Seid still! Hört zu!

AUSRUFER.
Ihr sehet diesen Hut, Männer von Uri!
Aufrichten wird man ihn auf hoher Säule,
Mitten in Altdorf, an dem höchsten Ort,
Und dieses ist des Landvogts Will' und Meinung:
Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehn,
Man soll ihn mit gebognem Knie und mit
Entblößtem Haupt verehren – Daran will
Der König die Gehorsamen erkennen.
Verfallen ist mit seinem Leib und Gut
Dem Könige, wer das Gebot verachtet.

AUSRUFER
Ihr seht diesen Hut, Männer von Uri! Man wird ihn hoch auf einer Säule aufrichten, mitten in Altdorf, an der höchsten Stelle, und Folgendes ist der Wille und die Meinung des Landvogts: Dem Hut soll die gleiche Ehre zustehen, wie ihm selbst; man soll vor ihm niederknien und ihn mit abgenommenem Hut verehren – daran will der König die Gehorsamen erkennen. Wer das Gebot missachtet, dessen Leben und Gut liegen in den Händen des Königs.

(Das Volk lacht laut auf, die Trommel wird gerührt, sie gehen vorüber.)

Das Volk lacht laut auf, die Trommel wird geschlagen, sie gehen vorüber.

ERSTER GESELL.
Welch neues Unerhörtes hat der Vogt
Sich ausgesonnen! Wir 'nen Hut verehren!
Sagt! Hat man je vernommen von dergleichen?

ERSTER GESELLE
Von so etwas hab' ich ja noch nie gehört, was der Vogt sich da Neues ausgedacht hat! Wir, 'nen Hut verehren! Was meint ihr, hat man jemals von etwas in der Art gehört?

MEISTER STEINMETZ.
Wir unsre Kniee beugen einem Hut!
Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würd'gen Leuten?

MEISTER STEINMETZ
Wir, vor einem Hut niederknien! Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würdigen Leuten?

ERSTER GESELL.
Wär's noch die kaiserliche Kron'! So ist's
Der Hut von Österreich, ich sah ihn hangen
Über dem Thron, wo man die Lehen giebt!

ERSTER GESELLE
Wäre es wenigstens noch die kaiserliche Krone! So ist es jetzt der Hut von Österreich; ich sah ihn über dem Thron, wo man die Lehen vergibt, hängen.

MEISTER STEINMETZ.
Der Hut von Österreich! Gebt acht, es ist
Ein Fallstrick, uns an Östreich zu verraten!

MEISTER STEINMETZ
Der Hut von Österreich! Gebt Acht; es ist ein Fallstrick, um uns an Österreich zu verraten!

GESELLEN.
Kein Ehrenmann wird sich der Schmach bequemen.

GESELLEN
Kein Ehrenmann wird diese Schmach mitmachen.

MEISTER STEINMETZ.
Kommt, lasst uns mit den andern Abred' nehmen.

MEISTER STEINMETZ
Kommt, wir wollen uns mit den anderen besprechen.

(Sie gehen nach der Tiefe.)

Sie gehen in den Hintergrund.

TELL (zum Stauffacher).
Ihr wisset nun Bescheid. Lebt wohl, Herr Werner!

TELL zu Stauffacher
Jetzt wisst Ihr Bescheid. Auf Wiedersehen, Herr Stauffacher!

STAUFFACHER.
Wo wollt Ihr hin? O eilt nicht so von dannen.

STAUFFACHER
Wo wollt Ihr hin? Oh geht doch nicht so schnell fort.

TELL.
Mein Haus entbehrt des Vaters. Lebet wohl.

TELL
Ich werde zuhause gebraucht. Euch viel Glück.

STAUFFACHER.
Mir ist das Herz so voll, mit Euch zu reden.

STAUFFACHER
Ich habe so vieles auf dem Herzen, worüber ich gerne mit Euch sprechen würde.

TELL.
Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht.

TELL
Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht.

STAUFFACHER.
Doch könnten Worte uns zu Taten führen.

STAUFFACHER
Aber Worte könnten uns zu Taten führen.

TELL.
Die einz'ge Tat ist jetzt Geduld und Schweigen.

TELL
Das einzige, was wir gerade tun können, ist geduldig zu sein und zu schweigen.

STAUFFACHER.
Soll man ertragen, was unleidlich ist?

STAUFFACHER
Soll man Unerträgliches einfach mitmachen?

TELL.
Die schnellen Herrscher sind's, die kurz regieren.
– Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden,
Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen
Eilends den Hafen, und der mächt'ge Geist
Geht ohne Schaden, spurlos, über die Erde.
Ein jeder lebe still bei sich daheim,
Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.

TELL
Die schnellen Herrscher sind es, die kurz regieren. Wenn der Föhn losgeht, löscht man das Feuer, die Schiffe suchen eilig den Hafen und der mächtige Geist zieht ohne Schaden anzurichten und ohne eine Spur zu hinterlassen über das Land. Sollen die Menschen in Ruhe bei sich zuhause leben; wer friedlich ist, dem gewährt man gerne den Frieden.

STAUFFACHER.
Meint Ihr?

STAUFFACHER
Meint Ihr?

TELL.
Die Schlange sticht nicht ungereizt.
Sie werden endlich doch von selbst ermüden,
Wenn sie die Lande ruhig bleiben sehn.

TELL
Die Schlange beißt nicht, solange sie nicht gereizt wird. Irgendwann verlieren sie von selbst die Lust, wenn sie sehen, wie im Land alles ruhig bleibt.

STAUFFACHER.
Wir könnten viel, wenn wir zusammen stünden.

STAUFFACHER
Wir könnten viel bewirken, wenn wir zusammenstehen würden.

TELL.
Beim Schiffbruch hilft der einzelne sich leichter.

TELL
Bei Schiffbruch hilft der Einzelne sich leichter.

STAUFFACHER.
So kalt verlasst ihr die gemeine Sache?

STAUFFACHER
So kalt verlasst Ihr die gemeinsame Sache?

TELL.
Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst.

TELL
Nur auf sich selbst kann man sicher zählen.

STAUFFACHER.
Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.

STAUFFACHER
Wenn sie zusammenhalten, werden auch die Schwachen mächtig.

TELL.
Der Starke ist am mächtigsten allein.

TELL
Und der Starke ist allein am mächtigsten.

STAUFFACHER.
So kann das Vaterland auf Euch nicht zählen,
Wenn es verzweiflungsvoll zur Notwehr greift?

STAUFFACHER
Dann kann unser Land auf Euch nicht zählen, wenn es verzweifelt zur Notwehr greift?

TELL (giebt ihm die Hand).
Der Tell holt ein verlornes Lamm vom Abgrund,
Und sollte seinen Freunden sich entziehen?
Doch was ihr tut, lasst mich aus eurem Rat,
Ich kann nicht lange prüfen oder wählen,
Bedürft ihr meiner zu bestimmter Tat,
Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.

TELL gibt ihm die Hand
Der Tell rettet zwar ein verlorenes Lamm vom Abgrund, aber würde seine Freunde im Stich lassen? Verlangt nur nicht von mir, dass ich mitentscheide, was zu tun ist. Ich kann nicht lange prüfen oder wählen. 
Wenn ihr mich aber für eine bestimmte Tat braucht, dann ruft den Tell; es soll an mir nicht fehlen.

(Gehen ab zu verschiedenen Seiten. Ein plötzlicher Auflauf entsteht um das Gerüste.)

Gehen zu verschiedenen Seiten ab. Um das Gerüst entsteht ein plötzlicher Tumult.

MEISTER STEINMETZ (eilt hin).
Was giebt's?

MEISTER STEINMETZ eilt hin
Was ist los?

ERSTER GESELL (kommt vor, rufend).
Der Schieferdecker ist vom Dach gestürzt.

ERSTER GESELLE kommt vor, rufend
Der Dachdecker ist vom Dach gestürzt.

Bertha mit Gefolge.

Bertha mit Gefolge.

BERTHA (stürzt herein).
Ist er zerschmettert? Rennet, rettet, helft –
Wenn Hilfe möglich, rettet, hier ist Gold –

(Wirft ihr Geschmeide unter das Volk.)

BERTHA stürzt herein
Ist er zerschmettert? Rennt, rettet, helft – wenn Hilfe möglich ist, dann rettet ihn, hier ist Gold –

Wirft ihren Schmuck unter die Leute.

MEISTER
Mit eurem Golde – Alles ist euch feil
Um Gold, wenn ihr den Vater von den Kindern
Gerissen und den Mann von seinem Weibe,
Und Jammer habt gebracht über die Welt,
Denkt ihr's mit Golde zu vergüten – Geht!
Wir waren frohe Menschen eh ihr kamt,
Mit euch ist die Verzweiflung eingezogen.

MEISTER
Mit eurem Gold – ihr denkt, ihr könntet mit eurem Gold alles kaufen. 
Wenn ihr den Vater von den Kindern und den Mann von seiner Frau gerissen habt, und Kummer und Leid über die Welt gebracht habt, dann wollt ihr es mit Gold wieder gutmachen – Geht! Wir waren glückliche Menschen bevor ihr kamt; mit euch ist die Verzweiflung eingezogen.

BERTHA (zu dem Fronvogt, der zurückkommt).
Lebt er?

(Fronvogt giebt ein Zeichen des Gegenteils.)

O unglücksel'ges Schloss, mit Flüchen
Erbaut, und Flüche werden dich bewohnen!

(Geht ab.)

BERTHA zum Fronvogt, der zurückkommt
Lebt er noch?

Der Fronvogt gibt ein Zeichen des Gegenteils.

Oh unglückseliges Schloss, mit Flüchen erbaut, und Flüche werden dich bewohnen!

Geht ab.

Vierte Szene

Das Original

klassikerverstehen

Walther Fürsts Wohnung.

Walther Fürst und Arnold vom Melchthal treten zugleich ein, von verschiedenen Seiten.

Walther Fürsts Wohnung

Walther Fürst und Arnold von Melchthal treten gleichzeitig von verschiedenen Seiten ein.

MELCHTHAL.
Herr Walther Fürst –

MELCHTHAL
Herr Walther Fürst –

WALTHER FÜRST.
Wenn man uns überraschte!
Bleibt, wo Ihr seid. Wir sind umringt von Spähern.

WALTHER FÜRST
Wenn wir überrascht werden! Bleibt, wo Ihr seid. Wir sind umringt von Spähern.

MELCHTHAL.
Bringt Ihr mir nichts von Unterwalden? Nichts
Von meinem Vater? Nicht ertrag ich's länger,
Als ein Gefangner müßig hier zu liegen.
Was hab ich denn so sträfliches getan,
Um mich gleich einem Mörder zu verbergen?
Dem frechen Buben, der die Ochsen mir,
Das trefflichste Gespann, vor meinen Augen
Weg wollte treiben auf des Vogts Geheiß
Hab ich den Finger mit dem Stab gebrochen.

MELCHTHAL
Bringt Ihr mir nichts von Unterwalden? Nichts von meinem Vater? Ich ertrage es nicht länger, hier wie ein Gefangener so müßig festzusitzen.
Was hab' ich denn so Sträfliches getan, um mich wie ein Mörder zu verstecken? Dem frechen Jungen, der mir die Ochsen – mein bestes Gespann – auf Befehl des Vogts vor den Augen forttreiben wollte, hab' ich mit dem Stab den Finger gebrochen.

WALTHER FÜRST.
Ihr seid zu rasch. Der Bube war des Vogts,
Von Eurer Obrigkeit war er gesendet,
Ihr wart in Straf' gefallen, musstet Euch,
Wie schwer sie war, der Buße schweigend fügen.

WALTHER FÜRST
Ihr seid zu voreilig. Der Junge gehörte zum Vogt; er wurde von Eurer Obrigkeit geschickt; Ihr hattet Euch strafbar gemacht, musstet die Buße, so hoch sie auch war, schweigend akzeptieren.

MELCHTHAL.
Ertragen sollt ich die leichtfert'ge Rede
Des Unverschämten: »Wenn der Bauer Brot
Wollt essen, mög er selbst am Pfluge ziehn!«
In die Seele schnitt mir's, als der Bub die Ochsen,
Die schönen Tiere, von dem Pfluge spannte,
Dumpf brüllten sie, als hätten sie Gefühl
Der Ungebühr, und stießen mit den Hörnern,
Da übernahm mich der gerechte Zorn,
Und meiner selbst nicht Herr, schlug ich den Boten.

MELCHTHAL
Ich musste mir die leichtfertige, unverschämte Aussage anhören: „Wenn der Bauer Brot essen will, soll er selbst am Pflug ziehen!“ Mir zerriss es das Herz, als der Junge die Ochsen, die schönen Tiere, vom Pflug löste. Sie brüllten dumpf, als würden sie Unrecht empfinden, und stießen mit den Hörnern. Da wurde ich natürlich zornig und völlig außer Kontrolle schlug ich den Boten.

WALTHER FÜRST.
O kaum bezwingen wir das eigne Herz,
Wie soll die rasche Jugend sich bezähmen!

WALTHER FÜRST
Sogar uns fällt es schwer, das eigene Herz im Zaum zu halten – wie soll sich da die hitzige Jugend beherrschen!

MELCHTHAL.
Mich jammert nur der Vater – Er bedarf
So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern.
Der Vogt ist ihm gehässig, weil er stets
Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten.
Drum werden sie den alten Mann bedrängen,
Und niemand ist, der ihn vor Unglimpf schütze.
– Werde mit mir was will, ich muss hinüber.

MELCHTHAL
Mir tut einfach nur mein Vater leid. Er braucht so dringend Pflege und sein Sohn ist weit entfernt. Der Vogt ist ihm feind, weil er sich immer aufrichtig für Recht und Freiheit einsetzte. Darum werden sie den alten Mann plagen und es gibt niemanden, der ihn vor Misshandlung beschützen kann. Passiere mit mir was will, ich muss hinüber.

WALTHER FÜRST.
Erwartet nur und fasst Euch in Geduld,
Bis Nachricht uns herüberkommt vom Walde.
– Ich höre klopfen, geht – Vielleicht ein Bote
Vom Landvogt – Geht hinein – Ihr seid in Uri
Nicht sicher vor des Landenbergers Arm,
Denn die Tyrannen reichen sich die Hände.

WALTHER FÜRST
Wartet lieber noch ab und übt Euch in Geduld, bis uns vom Wald eine Nachricht erreicht – Ich höre Klopfen, geht – vielleicht ein Bote vom Landvogt – geht hinein – Ihr seid in Uri nicht sicher vor Landenbergers Macht, denn die Tyrannen halten zusammen.

MELCHTHAL.
Sie lehren uns, was wir tun sollten.

MELCHTHAL
Sie lehren uns, was wir tun sollten.

WALTHER FÜRST.
Geht!
Ich ruf Euch wieder, wenn's hier sicher ist.

(Melchthal geht hinein.)

Der Unglückselige, ich darf ihm nicht
Gestehen, was mir Böses schwant – Wer klopft?
So oft die Türe rauscht, erwart ich Unglück.
Verrat und Argwohn lauscht in allen Ecken,
Bis in das Innerste der Häuser dringen
Die Boten der Gewalt, bald tät es Not,
Wir hätten Schloss und Riegel an den Türen.

Er öffnet und tritt erstaunt zurück, da Werner Stauffacher hereintritt.

Was seh ich? Ihr, Herr Werner! Nun bei Gott!
Ein werter, teurer Gast – Kein bessrer Mann
Ist über diese Schwelle noch gegangen.
Seid hoch willkommen unter meinem Dach!
Was führt Euch her? Was sucht Ihr hier in Uri?

WALTHER FÜRST
Geht! Ich rufe Euch wieder, wenn es hier sicher ist.

Melchthal geht hinein.

Der Ärmste – ich darf ihm nicht gestehen, was ich Böses kommen sehe – Wer klopft? Immer wenn ich ein Geräusch an der Türe höre, erwarte ich Schlimmes. Verrat und Argwohn lauern in jeder Ecke; bis mitten ins Haus dringen die Boten der Gewalt; wir bräuchten fast Schlösser an den Türen.

Er öffnet die Tür und tritt erstaunt zurück, als Werner Stauffacher hereintritt.

Was sehe ich denn da? Ihr, Herr Stauffacher! Was für eine Überraschung! So ein hoher Gast. Es ist noch kein besserer Mann über diese Schwelle getreten. Seid herzlich willkommen unter meinem Dach! Was führt Euch her? Was sucht Ihr hier in Uri?

STAUFFACHER (ihm die Hand reichend).
Die alten Zeiten und die alte Schweiz.

STAUFFACHER ihm die Hand reichend
Die alten Zeiten und die alte Schweiz.

WALTHER FÜRST.
Die bringt Ihr mit Euch – Sieh, mir wird so wohl,
Warm geht das Herz mir auf bei Eurem Anblick.
– Setzt Euch, Herr Werner – Wie verließet Ihr
Frau Gertrud, Eure angenehme Wirtin,
Des weisen Ibergs hochverständ'ge Tochter?
Von allen Wandrern aus dem deutschen Land,
Die über Meinradszell nach Welschland fahren,
Rühmt jeder Euer gastlich Haus – Doch sagt,
Kommt Ihr soeben frisch von Flüelen her,
Und habt Euch nirgend sonst noch umgesehn,
Eh Ihr den Fuß gesetzt auf diese Schwelle?

WALTHER FÜRST
Die bringt Ihr mit Euch – ich freue mich ja so, Euch zu sehen. Setzt Euch, Herr Stauffacher. Wie geht es Gertrud, Eurer netten Frau, der schlauen Tochter des klugen Iberg? Von allen Wanderern aus dem deutschen Land, die über Meinradszell nach Italien ziehen, lobt jeder Eure Gastfreundschaft
– Doch sagt, kommt Ihr gerade direkt aus Flüelen und habt Euch nirgends sonst umgesehen, bevor Ihr hier her kamt?

STAUFFACHER (setzt sich).
Wohl ein erstaunlich neues Werk hab ich
Bereiten sehen, das mich nicht erfreute.

STAUFFACHER setzt sich
Ein erstaunliches, neues Werk habe ich in seiner Errichtung gesehen, über das ich mich nicht freue.

WALTHER FÜRST.
O Freund, da habt Ihr's gleich mit Einem Blicke!

WALTHER FÜRST
Ach, Freund, da habt Ihr alles auf einen Blick!

STAUFFACHER.
Ein solches ist in Uri nie gewesen –
Seit Menschendenken war kein Twinghof hier,
Und fest war keine Wohnung als das Grab.

STAUFFACHER
So eins hat es in Uri nie gegeben – seit Menschengedenken gab es hier keinen Zwinger und eingeschlossen war man nur in seinem Grab.

WALTHER FÜRST.
Ein Grab der Freiheit ist's. Ihr nennt's mit Namen.

WALTHER FÜRST
Es ist ein Grab der Freiheit, Ihr sagt es.

STAUFFACHER.
Herr Walther Fürst, ich will Euch nicht verhalten,
Nicht eine müß'ge Neugier führt mich her,
Mich drücken schwere Sorgen – Drangsal hab ich
Zu Haus verlassen, Drangsal find ich hier.
Denn ganz unleidlich ist's, was wir erdulden,
Und dieses Dranges ist kein Ziel zu sehn.
Frei war der Schweizer von Uralters her,
Wir sind's gewohnt, dass man uns gut begegnet,
Ein solches war im Lande nie erlebt,
Solang ein Hirte trieb auf diesen Bergen.

STAUFFACHER
Herr Fürst, ich will es Euch nicht vorenthalten: Mich führt nicht zwecklose Neugier hier her, sondern es quälen mich große Sorgen. 
Bedrängnis erlebe ich zuhause, Bedrängnis finde ich hier. Denn es ist unerträglich, was wir erdulden, und es ist kein Ende der Not in Sicht. Seit jeher waren die Schweizer frei; wir sind es gewohnt, dass man uns gut behandelt. Seitdem es hier Hirten gibt, haben wir so etwas in unserem Land noch nie erlebt.

WALTHER FÜRST.
Ja, es ist ohne Beispiel wie sie's treiben!
Auch unser edler Herr von Attinghausen,
Der noch die alten Zeiten hat gesehn,
Meint selber, es sei nicht mehr zu ertragen.

WALTHER FÜRST
Ja, es ist ohne Beispiel wie sie es treiben! Selbst unser edler Herr von Attinghausen, der die alten Zeiten noch miterlebt hat, findet, dass es nicht mehr zu ertragen ist.

STAUFFACHER.
Auch drüben unterm Wald geht schweres vor,
Und blutig wird's gebüßt – der Wolfenschießen,
Des Kaisers Vogt, der auf dem Rossberg hauste,
Gelüsten trug er nach verbotner Frucht,
Baumgartens Weib, der haushält zu Alzellen,
Wollt er zu frecher Ungebühr missbrauchen,
Und mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen.

STAUFFACHER
Auch drüben in Unterwalden geht Schlimmes vor und blutig wird es gebüßt. Der Wolfenschießen, der Vogt des Kaisers, der auf dem Rossberg hauste, begab sich von Lust getrieben auf ein verbotenes Abenteuer: Er wollte sich an der Frau von Baumgarten aus Altzellen vergehen; dann hat der ihn mit der Axt erschlagen.

WALTHER FÜRST.
O die Gerichte Gottes sind gerecht!
– Baumgarten sagt Ihr? Ein bescheidner Mann!
Er ist gerettet doch und wohlgeborgen?

WALTHER FÜRST
Ach, Gottesurteile sind einfach gerecht! Baumgarten sagt Ihr? Ein kluger Mann! Er wurde doch hoffentlich gerettet und ist in Sicherheit?

STAUFFACHER.
Euer Eidam hat ihn übern See geflüchtet,
Bei mir zu Steinen halt ich ihn verborgen –
– Noch greulichers hat mir derselbe Mann
Berichtet, was zu Sarnen ist geschehn,
Das Herz muss jedem Biedermanne bluten.

STAUFFACHER
Euer Schwiegersohn hat ihm zur Flucht über den See verholfen, ich verstecke ihn bei mir in Steinen. Und von etwas noch Grauenhafterem hat er mir erzählt, das in Sarnen passiert ist; dabei blutet einem das Herz.

WALTHER FÜRST (aufmerksam).
Sagt an, was ist's?

WALTHER FÜRST aufmerksam
Erzählt, was ist passiert?

STAUFFACHER.
Im Melchthal, da wo man
Eintritt bei Kerns, wohnt ein gerechter Mann,
Sie nennen ihn den Heinrich von der Halden,
Und seine Stimm' gilt was in der Gemeinde.

STAUFFACHER
Im Melchtal, wenn man es von Kerns aus betritt, wohnt ein guter Mann; er heißt Heinrich von der Halden und seine Meinung wird in der Gemeinde sehr ernst genommen.

WALTHER FÜRST.
Wer kennt ihn nicht! Was ist's mit ihm? Vollendet!

WALTHER FÜRST
Wer kennt ihn nicht! Was war mit ihm? Redet aus.

STAUFFACHER.
Der Landenberger büßte seinen Sohn
Um kleinen Fehlers willen, ließ die Ochsen,
Das beste Paar, ihm aus dem Pfluge spannen,
Da schlug der Knab den Knecht und wurde flüchtig.

STAUFFACHER
Sein Sohn wurde vom Landenberger für einen kleinen Fehler bestraft. Der ließ ihm seine zwei besten Ochsen vom Pflug losmachen. Da schlug der junge Mann den Knecht und floh.

WALTHER FÜRST (in höchster Spannung).
Der Vater aber – Sagt, wie steht's um den?

WALTHER FÜRST voller Spannung
Der Vater aber – erzählt, wie steht's um den?

STAUFFACHER.
Den Vater lässt der Landenberger fodern,
Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn,
Und da der alte Mann mit Wahrheit schwört,
Er habe von dem Flüchtling keine Kunde,
Da lässt der Vogt die Folterknechte kommen –

STAUFFACHER
Der Landenberger lässt den Vater zu sich rufen, der soll ihm seinen Sohn zur Stelle schaffen; und als der alte Mann wahrheitsgetreu schwört, dass er nichts von dem Geflohenen weiß, lässt der Vogt die Folterknechte kommen –

WALTHER FÜRST (springt auf und will ihn auf die andre Seite führen).
O still, nichts mehr!

WALTER FÜRST springt auf und will ihn auf die andere Seite führen

Nichts mehr sagen, nichts mehr!

STAUFFACHER (mit steigendem Ton).
»Ist mir der Sohn entgangen,
So hab ich dich« – Lässt ihn zu Boden werfen,
Den spitz'gen Stahl ihm in die Augen bohren –

STAUFFACHER mit lauterer Stimme
„Wenn mir der Sohn auch entwischt ist, dann habe ich immer noch dich!“ – lässt ihn zu Boden werfen und ihm das Schwert in die Augen bohren.

WALTHER FÜRST.
Barmherz'ger Himmel!

WALTHER FÜRST
Gott im Himmel!

MELCHTHAL (stürzt heraus).
In die Augen, sagt Ihr?

MELCHTHAL stürzt heraus
In die Augen, sagt Ihr?

STAUFFACHER (erstaunt zum Walther Fürst).
Wer ist der Jüngling?

STAUFFACHER erstaunt zu Walther Fürst
Wer ist der junge Mann?

MELCHTHAL (fasst ihn mit krampfhafter Heftigkeit).
In die Augen? Redet.

MELCHTHAL hält ihn krampfhaft fest
In die Augen? Weiter!

WALTHER FÜRST.
O der bejammernswürdige!

WALTHER FÜRST
Oh, kann der einem leidtun!

STAUFFACHER.
Wer ist's?

(Da Walther Fürst ihm ein Zeichen giebt.)

Der Sohn ist's? Allgerechter Gott!

STAUFFACHER
Wer ist das?

als Walther Fürst ihm ein Zeichen gibt

Das ist der Sohn? Gütiger Gott!

MELCHTHAL.
Und ich
Muss ferne sein! – In seine beiden Augen?

MELCHTHAL
Und ich bin nicht da! – in seine beiden Augen?

WALTHER FÜRST.
Bezwinget Euch, ertragt es wie ein Mann!

WALTHER FÜRST
Beherrscht Euch, ertragt es wie ein Mann!

MELCHTHAL.
Um meiner Schuld, um meines Frevels willen!
– Blind also? Wirklich blind, und ganz geblendet?

MELCHTHAL
Um meiner Schuld, um meiner Tat Willen! – Blind also? Wirklich blind, und ganz geblendet?

STAUFFACHER.
Ich sagt's. Der Quell des Seh'ns ist ausgeflossen
Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder.

STAUFFACHER
Wie ich sagte. Sein Augenlicht ist ausgelöscht, er wird die Sonne nicht mehr scheinen sehen.

WALTHER FÜRST.
Schont seines Schmerzens!

WALTHER FÜRST
Macht seinen Schmerz nicht noch schlimmer!

MELCHTHAL.
Niemals! Niemals wieder!

(Er drückt die Hand vor die Augen, und schweigt einige Momente, dann wendet er sich von dem einen zu dem andern, und spricht mit sanfter, von Tränen erstickter Stimme.)

O eine edle Himmelsgabe ist
Das Licht des Auges – Alle Wesen leben
Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf –
Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte.
Und er muss sitzen, fühlend, in der Nacht,
Im ewig finstern – ihn erquickt nicht mehr
Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz,
Die roten Firnen kann er nicht mehr schauen –
Sterben ist nichts – doch leben und nicht sehen,
Das ist ein Unglück – Warum seht ihr mich
So jammernd an? Ich hab zwei frische Augen,
Und kann dem blinden Vater keines geben,
Nicht einen Schimmer von dem Meer des Lichts,
Das glanzvoll, blendend, mir ins Auge dringt.

MELCHTHAL
Niemals! Niemals wieder!

Er drückt die Hand vor die Augen und schweigt für eine Weile; dann wendet er sich vom einen zum anderen und spricht mit sanfter, von Tränen erstickter Stimme

Ach, das Augenlicht ist ein Geschenk Gottes – Alle Wesen leben vom Licht, jedes glückliche Geschöpf – auch Pflanzen drehen sich zum Licht. Und er muss für immer in der Nacht sitzen, in der ewigen Dunkelheit, mit nichts außer seinem Gefühl – Er kann sich nicht mehr über das warme Grün der Bergwiesen oder über die Schönheit der Blumen freuen, kann die schneebedeckten Berggipfel im Abendrot nicht mehr sehen – Sterben ist nichts – aber zu leben ohne zu sehen: Das ist ein Unglück. Warum seht ihr mich so bekümmert an? Ich habe zwei kerngesunde Augen und kann meinem blinden Vater keins davon geben, nicht einen einzigen Schimmer von dem strahlenden Licht, das meine Augen wahrnehmen.

STAUFFACHER.
Ach, ich muss Euren Jammer noch vergrößern,
Statt ihn zu heilen – Er bedarf noch mehr!
Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt,
Nichts hat er ihm gelassen als den Stab,
Um nackt und blind von Tür zu Tür zu wandern.

STAUFFACHER
Ach, ich muss Euren Kummer noch vergrößern, anstatt ihm abzuhelfen. Ihm fehlt noch mehr! Denn alles hat der Landvogt ihm genommen und ihm nichts gelassen, mit Ausnahme des Stocks, um nackt und blind von Tür zu Tür zu wandern.

MELCHTHAL.
Nichts als den Stab dem augenlosen Greis!
Alles geraubt, und auch das Licht der Sonne,
Des Ärmsten allgemeines Gut – Jetzt rede
Mir keiner mehr von Bleiben, von Verbergen!
Was für ein feiger Elender bin ich,
Dass ich auf meine Sicherheit gedacht,
Und nicht auf Deine – dein geliebtes Haupt
Als Pfand gelassen in des Wütrichs Händen!
Feigherz'ge Vorsicht fahre hin – Auf nichts
Als blutige Vergeltung will ich denken,
Hinüber will ich – keiner soll mich halten –
Des Vaters Auge von dem Landvogt fodern –
Aus allen seinen Reisigen heraus
Will ich ihn finden – Nichts liegt mir am Leben,
Wenn ich den heißen ungeheuren Schmerz
In seinem Lebensblute kühle. 
(Er will gehen.)

MELCHTHAL
Nichts als den Stock dem blinden, alten Mann! Alles genommen und auch noch das Sonnenlicht, was selbst der Ärmste noch besitzt – Jetzt soll mir keiner mehr was vom Bleiben und Verstecken erzählen! Was für ein elender Feigling bin ich, dass es mir um meine und nicht um deine Sicherheit ging – dich als Pfand dagelassen habe in den Händen des Tyrannen! Weg mit der feigen Vorsicht – ich will auf nichts anderes mehr hindenken als auf blutige Vergeltung, ich will hinüber – keiner wird mich aufhalten – vom Landvogt das Augenlicht meines Vaters fordern – durch alle seine Reisigen will ich zu ihm durchdringen – Mein Leben wird mir egal sein, wenn mir sein Tod den ungeheuerlichen Schmerz erleichtert.

Er will gehen.

WALTHER FÜRST.
Bleibt!
Was könnt Ihr gegen ihn? Er sitzt zu Sarnen
Auf seiner hohen Herrenburg und spottet
Ohnmächt'gen Zorns in seiner sichern Feste.

WALTHER FÜRST
Bleibt noch! Was könnt Ihr gegen ihn ausrichten? Er sitzt in Sarnen auf seiner hohen Herrenburg und spottet in seiner sicheren Feste über machtlosen Zorn.

MELCHTHAL.
Und wohnt' er droben auf dem Eispalast
Des Schreckhorns oder höher, wo die Jungfrau
Seit Ewigkeit verschleiert sitzt – Ich mache
Mir Bahn zu ihm, mit zwanzig Jünglingen
Gesinnt wie ich, zerbrech ich seine Feste.
Und wenn mir niemand folgt, und wenn ihr alle
Für eure Hütten bang und eure Herden,
Euch dem Tyrannenjoche beugt – die Hirten
Will ich zusammen rufen im Gebirg,
Dort unterm freien Himmelsdache, wo
Der Sinn noch frisch ist und das Herz gesund,
Das ungeheuer Grässliche erzählen.

MELCHTHAL
Und selbst wenn er oben auf dem Eispalast des Schreckhorns oder höher, auf der Jungfrau – wohnt, ich schlage mich zu ihm durch; Mit zwanzig jungen Männern, die so denken wie ich, zertrümmere ich seine Feste. Und wenn mir niemand folgt und wenn ihr alle euch aus Angst um eure Hütten und Herden dem Tyrannenjoch beugt – Ich werde die Hirten aus dem Gebirge zusammenrufen, werde dort in dem freien Gelände, wo die Menschen noch lebendige Sinne und gesunde Herzen haben, das ungeheuer Grässliche erzählen.

STAUFFACHER (zu Walther Fürst).
Es ist auf seinem Gipfel – wollen wir
Erwarten, bis das Äuserste –

STAUFFACHER zu Walther Fürst
Es hat seinen Höhepunkt erreicht – wollen wir warten, bis das Schlimmste –

MELCHTHAL.
Welch Äuserstes
Ist noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges
In seiner Höhle nicht mehr sicher ist?
– Sind wir denn wehrlos? Wozu lernten wir
Die Armbrust spannen und die schwere Wucht
Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward
Ein Notgewehr in der Verzweiflungsangst,
Es stellt sich der erschöpfte Hirsch und zeigt
Der Meute sein gefürchtetes Geweih.
Die Gemse re
ißt den Jäger in den Abgrund –
Der Pflugstier, selbst, der sanfte Hausgenoss                              
Des Menschen, der die ungeheure Kraft
Des Halses duldsam unters Joch gebogen,
Springt auf, gereizt, wetzt sein gewaltig Horn,
Und schleudert seinen Feind den Wolken zu.

MELCHTHAL
Was ist denn Schlimmstes noch zu fürchten, wenn das Auge in seiner Höhle nicht mehr sicher ist? – Sind wir denn wehrlos? Wozu haben wir gelernt, die Armbrust zu spannen und die Streitaxt zu schwingen? 
Jedem Lebewesen wurde eine Waffe mitgegeben, mit der es sich in der Verzweiflung verteidigen kann. Wenn der Hirsch erschöpft ist, richtet er sich auf und zeigt der Meute sein gefürchtetes Geweih. Die Gämse reißt den Jäger in den Abgrund – Der Ochse, der sanftmütige Hausgenosse des Menschen, der die ungeheure Kraft seines Halses duldsam unters Joch gebogen hat, springt gereizt auf, wetzt sein gewaltiges Horn und schleudert seinen Feind in die Höhe.

WALTHER FÜRST.
Wenn die drei Lande dächten wie wir drei,
So möchten wir vielleicht etwas vermögen.

WALTHER FÜRST
Wenn die drei Länder so denken würden wie wir drei, dann könnten wir vielleicht etwas erreichen.

STAUFFACHER.
Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft,
Der Schwyzer wird die alten Bünde ehren.

STAUFFACHER
Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft, wird sich auch der Schwyzer auf die Seite der alten Bünde stellen.

MELCHTHAL.
Groß ist in Unterwalden meine Freundschaft,
Und jeder wagt mit Freuden Leib und Blut,
Wenn er am andern einen Rücken hat
Und Schirm – O fromme Väter dieses Landes!
Ich stehe nur ein Jüngling zwischen Euch,
Den Vielerfahrnen – meine Stimme muss
Bescheiden schweigen in der Landsgemeinde.
Nicht weil ich jung bin und nicht viel erlebte,
Verachtet meinen Rat und meine Rede,
Nicht lüstern jugendliches Blut, mich treibt
Des höchsten Jammers schmerzliche Gewalt,
Was auch den Stein des Felsen muss erbarmen.
Ihr selbst seid Väter, Häupter eines Hauses,
Und wünscht Euch einen tugendhaften Sohn,
Der Eures Hauptes heil'ge Locken ehre,
Und Euch den Stern des Auges fromm bewache.
O weil Ihr selbst an Eurem Leib und Gut
Noch nichts erlitten, Eure Augen sich
Noch frisch und hell in ihren Kreisen regen,
So sei Euch darum unsre Not nicht fremd.
Auch über Euch hängt das Tyrannenschwert,
Ihr habt das Land von Östreich abgewendet,
Kein anderes war meines Vaters Unrecht,
Ihr seid in gleicher Mitschuld und Verdammnis.

MELCHTHAL
Ich habe in Unterwalden viele Freunde und jeder wagt gerne sein Leben, wenn er am anderen einen Rückhalt hat – Ach ihr tapferen Väter dieses Landes! Ich bin nur ein junger Mann neben Euch, mit Eurer reichlichen Erfahrung. Ich muss in der Landsgemeinde bescheiden schweigen. Bitte lehnt das, was ich rate und sage, nicht ab, nur weil ich jung bin und noch nicht viel erlebt habe. Mich treibt kein jugendlicher Eifer, sondern ein Kummer, der nicht mehr zu steigern ist, sodass es sogar einen Stein erbarmen würde. Ihr seid selbst Väter und steht einem Haus vor, und wünscht Euch einen tugendhaften Sohn, der Euch Respekt zollt und Euer Augenlicht tapfer bewacht. Nur weil Ihr selbst und Euer Gut bisher verschont geblieben sind und Eure Augen noch gesund in ihren Höhlen sitzen, solltet Ihr unsere Not nicht ignorieren. Auch über Euch hängt das Tyrannenschwert, Ihr habt das Land von Österreich abgewendet, nichts anderes hat sich auch mein Vater zu Schulden kommen lassen; Euch wird die gleiche Schuld vorgeworfen und Ihr seid genauso in Gefahr.

STAUFFACHER (zu Walther Fürst).
Beschließet Ihr, ich bin bereit zu folgen.

STAUFFACHER zu Walther Fürst
Ihr sollt entscheiden; ich bin bereit, mitzumachen.

WALTHER FÜRST.
Wir wollen hören, was die edeln Herrn
Von Sillinen, von Attinghausen raten –
Ihr Name, denk ich, wird uns Freunde werben

WALTHER FÜRST
Wollen wir hören, was die edlen Herren von Silenen und von Attinghausen raten – Ihre Namen, denke ich, werden uns Freunde werben.

MELCHTHAL.
Wo ist ein Name in dem Waldgebirg
Ehrwürdiger als Eurer und der Eure?
An solcher Namen ächte Währung glaubt
Das Volk, sie haben guten Klang im Lande.
Ihr habt ein reiches Erb von Vätertugend,
Und habt es selber reich vermehrt – Was braucht's
Des Edelmanns? Lasst's uns allein vollenden.
Wären wir doch allein im Land! Ich meine,
Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen.

MELCHTHAL
Wo gibt es in dem Waldgebirge noch respektablere Namen als Eure zwei? Diese Namen gelten bei den Menschen viel, sie werden hoch angesehen. Eure Vorfahren haben Euch einen hervorragenden Ruf vererbt und dieses Erbe habt Ihr noch um einiges vergrößert. Wozu brauchen wir Adelige? Lasst es uns alleine durchziehen. Wären wir doch allein im Land! Ich bin überzeugt, dass wir uns schon selbst zu verteidigen wüssten.

STAUFFACHER.
Die Edeln drängt nicht gleiche Not mit uns,
Der Strom, der in den Niederungen wütet,
Bis jetzt hat er die Höhn noch nicht erreicht –
Doch ihre Hülfe wird uns nicht entstehn,
Wenn sie das Land in Waffen erst erblicken.

STAUFFACHER
Die Adeligen sind nicht in derselben Not wie wir; der Strom, der in den Niederungen wütet, hat die Höhen bisher noch nicht erreicht. Doch an ihrer Hilfe wird es uns nicht mangeln, wenn sie das Land erst unter Waffen sehen.

WALTHER FÜRST.
Wäre ein Obmann zwischen uns und Österreich,
So möchte Recht entscheiden und Gesetz,
Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser
Und höchster Richter – so muss Gott uns helfen
Durch unsern Arm – erforschet Ihr die Männer
Von Schwyz, ich will in Uri Freunde werben.
Wen aber senden wir nach Unterwalden –

WALTHER FÜRST
Gäbe es zwischen uns und Österreich einen Schiedsrichter, dann könnten Recht und Gesetz entscheiden. Doch der, der uns unterdrückt, ist unser Kaiser und höchster Richter – also muss Gott uns helfen, durch unsere Taten. Tastet Ihr die Männer von Schwyz ab, ich will in Uri Freunde werben. Wen aber schicken wir nach Unterwalden?

MELCHTHAL.
Mich sendet hin – wem läg es näher an –

MELCHTHAL
Schickt mich hin – wem läge es näher?

WALTHER FÜRST.
Ich geb's nicht zu, Ihr seid mein Gast, ich muss
Für Eure Sicherheit gewähren!

WALTHER FÜRST
Das lasse ich nicht zu; Ihr seid mein Gast, ich muss für Eure Sicherheit Gewähr leisten!

MELCHTHAL.
Lasst mich!
Die Schliche kenn ich und die Felsensteige,
Auch Freunde find ich gnug, die mich dem Feind
Verhehlen und ein Obdach gern gewähren.

MELCHTHAL
Lasst es mich machen! Ich kenne die Schleichwege und die Felsensteige und finde genügend Freunde, die mich vor dem Feind verstecken und mich bei sich unterbringen.

STAUFFACHER.
Lasst ihn mit Gott hinüber gehen. Dort drüben
Ist kein Verräter – so verabscheut ist
Die Tyrannei, dass sie kein Werkzeug findet.
Auch der Alzeller soll uns nid dem Wald
Genossen werben und das Land erregen.

STAUFFACHER
Lasst ihn mit Gottes Hilfe hinübergehen. Dort drüben ist kein Verräter – die Tyrannei wird so sehr verabscheut, dass sie keine Unterstützer findet. Auch der Altzeller soll uns in Nidwalden Mitstreiter werben und das Land aufwühlen.

MELCHTHAL.
Wie bringen wir uns sichre Kunde zu,
Dass wir den Argwohn der Tyrannen täuschen?

MELCHTHAL
Wie halten wir einander auf dem Laufenden, ohne dass die Tyrannen etwas davon mitbekommen?

STAUFFACHER.
Wir könnten uns zu Brunnen oder Treib
Versammeln, wo die Kaufmannsschiffe landen.

STAUFFACHER
Wir könnten uns in Brunnen oder Treib versammeln, wo die Handelsschiffe anlegen.

WALTHER FÜRST.
So offen dürfen wir das Werk nicht treiben.
– Hört meine Meinung. Links am See, wenn man
Nach Brunnen fährt, dem Mythenstein grad über,
Liegt eine Matte heimlich im Gehölz,
Das Rütli heisst sie bei dem Volk der Hirten,
Weil dort die Waldung ausgereutet ward.
Dort ist's wo unsre Landmark und die Eure 
(zu Melchthal)
Zusammengrenzen, und in kurzer Fahrt 
(zu Stauffacher)
Trägt Euch der leichte Kahn von Schwyz herüber.
Auf öden Pfaden können wir dahin
Bei Nachtzeit wandern und uns still beraten.
Dahin mag jeder zehn vertraute Männer
Mitbringen, die herzeinig sind mit uns,
So können wir gemeinsam das Gemeine
Besprechen und mit Gott es frisch beschließen.

WALTHER FÜRST
So offenkundig dürfen wir nicht vorgehen. Hört mir zu. Wenn man nach Brunnen fährt, liegt auf der linken Seite des Sees, gegenüber vom Mythenstein, eine gut verborgene Wiese im Wald. Die Hirten nennen sie Rütli, weil dort ein Stück des Waldes gerodet wurde. Zu Melchthal Da grenzen unsere beiden Länder aneinander. Zu Stauffacher Und Euch bringt das Boot von Schwyz in kurzer Zeit herüber. Bei Nacht können wir auf verlassenen Pfaden dort hin wandern und uns ungestört beraten.
Jeder soll zehn vertraute Männer dort hin mitbringen, die für das Gleiche einstehen wie wir, dann können wir zusammen die gemeinsame Sache besprechen und sie mit Gottes Hilfe direkt beschließen.

STAUFFACHER.
So sei's. Jetzt reicht mir Eure biedre Rechte,
Reicht Ihr die Eure her, und so wie wir
Drei Männer jetzo, unter uns, die Hände
Zusammenflechten, redlich, ohne Falsch,
So wollen wir drei Länder auch, zu Schutz
Und Trutz, zusammenstehn auf Tod und Leben.

STAUFFACHER
So machen wir's. Jetzt reicht mir Eure rechte Hand, Ihr auch, 
und so wie wir drei Männer uns jetzt die Hand geben, unter uns, aufrecht und ehrlich, so wollen wir drei Länder auch auf Gedeih und Verderb, auf Leben und Tod, zusammenhalten.

WALTHER FÜRST und MELCHTHAL.
Auf Tod und Leben!

(Sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammengeflochten und schweigen.)

WALTHER FÜRST und MELCHTHAL
Auf Leben und Tod!

Sie halten noch für einen Moment die Hände zusammen und schweigen.

MELCHTHAL.
Blinder alter Vater!
Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen,
Du sollst ihn hören – Wenn von Alp zu Alp
Die Feuerzeichen flammend sich erheben,
Die festen Schlösser der Tyrannen fallen,
In deine Hütte soll der Schweizer wallen,
Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen,
Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen.

(Sie gehen auseinander.)

MELCHTHAL
Blinder, alter Vater! Du kannst den Tag der Freiheit zwar nicht mehr sehen, aber du sollst ihn hören – wenn von Alm zu Alm die Feuerzeichen aufsteigen, die festen Schlösser der Tyrannen fallen, 
dann soll der Schweizer dir in deine Hütte die gute Nachricht überbringen, sodass es in deiner Nacht heller Tag wird.

Sie gehen auseinander.

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